Die Mistel, Teil 4

Die Pflanze war entrüstet. So ein Mist, alle Anstrengungen umsonst. Entschied sich, zum ersten Mal in ihrem Leben, niemals mehr einem Vogel zu vertrauen. Und nahm Abschied von all den grünen Geschöpfen von Mutter Natur. Ihre Seele stieg in den Pflanzenhimmel. Endlich hatte sie die Höhe erreicht. Fast wäre sie ausgestorben, diese Pflanzengeschichte. Wenn nicht hoch droben am Ast in der Baumkrone, wo die Drossel ein Häufchen hingesetzt hatte, ein kleines Wunder geschah. Das winzige Pflanzenkind, geborgen in der schleimig-süßen Beerenfrucht, drängte ins Leben. Nur, es saß weit vom Schoß der Erde entrückt in luftiger Höhe. Wohin mit dem Würzelchen? Wie trinken? Es bohrte sich notgedrungen ins Holz. Stieß auf Wasser. Stillte den Durst und begann zu wachsen. Nach oben, zum Licht des Himmels? Nach unten, zum Schoß von Mutter Erde? Schwierig, diese Entscheidung. Also gabelte das Pflanzenkind seinen kleinen Trieb. Mal sehen.

Blicken wir mal nach oben, in die Baumkronen. Was entdecken wir da? Aus dem Mist der Drossel entstandene Pflanzen, nicht Kraut noch Baum, nicht himmlisch noch irdisch, aber anmutig gegabelt. Mit Blüten, die man kaum sieht, mit Früchten, die wie Perlen schimmern. Die Mistel! Ist das nicht wahre Pflanzenlust?

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