Apfelfrüchte

„Wenn Staunen die Blüte ist, ist der Apfel die Erkenntnis.“ Dieser Aphorismus vom Schweizer Autor Denis Herger soll uns durch diesen Artikel führen. Im Frühling haben wir die Blütenpracht bewundert, jetzt im Herbst fallen uns die aus Blüten hervorgegangenen Früchte in den Schoß – die Natur ist groß. Am letzten Sonntag im September bzw. ersten Sonntag im Oktober feiert man Erntedank, um sich für die großzügigen Gaben von Feld und Acker, aus Wald und Wiese erkenntlich zu zeigen. Bestimmt spielen bei diesen Feiern auch Äpfel eine Rolle. Die wollen wir ausfindig machen.

Paradiesische Früchte

Äpfel, genauer Kultur-Äpfel (Malus domestica), sind das beliebteste Obst in unseren Breiten, rund 24 kg verzehrt jeder von uns im statistischen Mittel. Von den weltweit geschätzt 20.000 Sorten – eine genaue Sortenzahl lässt sich nicht ergründen – spielen nur wenige wie Elstar, Jonagold, Golden Delicious, Braeburn, Pink Lady oder Gala eine Rolle in der Gunst der Verbraucher. Alte Sorten mit klingenden Namen wie Pfannkuchenapfel, Ananasrenette, Finkenwerder Herbstprinz, Purpurroter Cousinot oder Weißer Winterglockenapfel kennt man vielleicht noch vom Hörensagen. Und wer weiß schon von wilden Arten wie dem heimischen Holz-Apfel (Malus sylvestris), von Kaukasus- (Malus orientalis) oder Altai-Äpfeln (Malus sieversii)?

Nächste Frage: Stand im Paradies wirklich ein Apfelbaum, von dem – einer bissigen Volksweisheit nach – Adam nur deshalb abgebissen hat, weil mit Eva nicht gut Kirschenessen war? Aber ob Apfel, Granatapfel oder Apfelsine: welche Frucht auch immer am Baum der Erkenntnis hing, soll uns hier nicht bewegen. In der Vielfalt des Elysiums gab es aber ganz bestimmt Apfelfrüchte. Diese sollen im Fokus stehen, und zwar im botanischen Sinn.

Äpfel mit Birnen vergleichen

Mit dem Begriff Apfelfrucht wird botanisch ein ganz spezieller Typus von Blüten im Zustand der Samenreife umrissen. Biologischer Zweck und Ziel des Lebens ist bei Pflanzen wie bei allen Lebewesen die Erhaltung der Art, was über Fortpflanzung gesichert wird. In den Blüten werden nach Bestäubung und Befruchtung Samen gebildet, in denen sich ein Embryo entwickelt. Bei den meisten Pflanzen entsteht dabei gleichzeitig noch eine Fruchthülle. Die erwächst gemeinhin vom Fruchtknoten.

Apfelfrüchte, also eine Fruchtform, wie wir sie beim Kernobst, zu dem neben Apfel auch Birne (Pyrus), Quitte (Cydonia) oder Mispel (Mespilus) gehören, zeigen ein Kernhaus, umgeben von Fruchtfleisch. Das Kinderlied beschreibt es schön:

„In meinem kleinen Apfel,
da sieht es lustig aus:
es sind darin fünf Stübchen,
grad‘ wie in einem Haus.
In jedem Stübchen wohnen
zwei Kernchen schwarz und fein,
die liegen drin und träumen
vom lieben Sonnenschein.“

Die Kernobstgewächse entsprechen der Pflanzensippe Pyrinae aus der Familie der Rosengewächse (früher Unterfamilie Maloideae), sie tragen allesamt Apfelfrüchte. Im weiteren Sinn sind das Balgfrüchte. Jeder Balg entsteht aus einem Fruchtblatt, in dem je nach Art zwei oder mehrere Samen stecken. Das kann man sich bildlich so vorstellen: ein rundes Blatt Papier zusammenklappen, den Rand verkleben; es entsteht ein tütenförmiger Behälter, in der Samen bewahrt und nach Lösen der Verklebung freigegeben werden können.

Mehrere, beim Apfel exakt fünf allenfalls an der Basis miteinander verwachsene Balgfrüchte – das Kernhaus – werden vom Blütenboden umwachsen, der stark anschwillt und fleischig-saftig wird. Darin eingehüllt können sich die eigentlichen Früchte nicht mehr an den Bauchnähten öffnen, wie es für Balgfrüchte sonst üblich ist.

So jedenfalls lautet die allgemeine Lehrmeinung zu Apfelfrüchten. Anderen Argumenten zufolge müssen Apfelfrüchte botanisch jedoch den Beeren zugerechnet werden. Beerenfrüchte sind Schließfrüchte, sie öffnen sich bei Reife nicht, ihr saftiges Fruchtfleisch liegt unter einer gewöhnlich auffallend gefärbten Schale. Noch genauer sind es mehrere Fruchtblätter eines halbunterständigen Fruchtknotens, die an ihren Rückenseiten mit der Blütenachse verwachsen. In der Reife werden die Fruchtblattfächer pergamentartig (und ähneln Balgfrüchten), Fruchtknotenwände und Achsengewebe entwickeln sich gemeinschaftlich zum Fruchtfleisch.

Apfelfrüchte ganz beerig

So weit, so komplex. „Beiß nicht gleich in jeden Apfel, er könnte sauer sein. Denn auf rote Apfelbäckchen fällt man leicht herein.“ Mit diesem Titel gewann Wencke Myrhe 1966 die deutschen Schlagerfestspiele. Wir ziehen hier eher die Lehre, dass nicht alles, was Apfel heißt, wirklich der Gattung Malus angehört. Aber genauso sind nicht alle Beeren streng genommen eben solche, sondern vielmehr Apfelfrüchte. Bei ausgesprochen kleinen Apfelfrüchten von Zieräpfeln spricht man auch schon mal von Beerenäpfeln. Was für ein Durcheinander. Aber nur auf den ersten Blick, denn wer so manches bunte Früchtchen genauer unter die Lupe nimmt, kommt schnell hinter die Geheimnisse.

Viele „Beeren“, nämlich solche aus der Familie der Rosengewächse, die jetzt reifen und mit oft knalligen Farben von Sträuchern und Bäumen locken, sind „Äpfelchen“. Vogelbeeren, Mehlbeeren, Elsbeeren und eine Reihe weiterer Wildobstarten sind fruchtige Beispiele, aber auch weitere heimische Arten wie Echte Felsenbirne (Amelanchier ovalis) und Felsen-Zwergmispeln (Cotoneaster integerrimus) sowie viele „Ausländer“, z.B. Apfelbeeren (Aronia), Feuerdorn (Pyracantha), Wollmispeln (Eriobotrya), Zierquitten (Chaenomeles) oder Glanzmispeln (Photinia).

Auf zur Ernte

„Über Rosen lässt sich dichten, in Äpfel muss man beißen.“, wusste der Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Wir wollen selbstverständlich wilde Apfelfrüchte probieren. Etwa einen Holz-Apfel, auch Essig-Apfel genannt. Malus sylvestris ist nur noch selten zu finden, laut einer Erfassung der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung aus dem Jahr 2013 etwas mehr als 8.300 Exemplare, noch am häufigsten in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Häufig haben sich Holzäpfel mit anderen Äpfeln gekreuzt. Volkstümlich werden auch manche alten Sorten vom Kultur-Apfel als Holzäpfel bezeichnet, sofern die Früchte klein und herb sind.

Wahre wilde Holzäpfel lassen sich nur durch DNA-Analyse von Kultur-Äpfeln unterscheiden. Ihre Blätter sind gewöhnlich unterseits kahl und nicht flaumig behaart. Die Früchte bleiben klein, sind grünlich-gelb, manchmal mit rötlichen Bäckchen. Eine Schmeckprobe sagt viel: es beißt sich hart-holzig, ein herb-saurer Geschmack ist vordergründig kombiniert mit einem zusammenziehend-pelzigen Mundgefühl, eben stark gerbstoffhaltig.

Solche Äpfel sind nicht für Frischverzehr geeignet. Aber klein gestückelt und getrocknet ergeben sie eine hervorragende Zutat für winterliche Teemischungen. Wildapfeltee wurde früher gerne als Vitamin C-Spender getrunken oder zur Fiebersenkung eingesetzt. Nach Lagerung oder Frosteinwirkung werden die kleinen, grünlich-gelben Äpfel innen bräunlich, mürbe und angenehm im Geschmack. Dann kann man ein außergewöhnlich würziges Mus oder ein tiefgolden leuchtendes Gelee daraus kochen. Und erst der Edelbrand…

Mehlbeeren – Mehlfässchen

Wer Mehlbeeren sammelt, greift zu mehreren Arten der Gattung Sorbus, die kleine, mehlige Früchte tragen. Die Echte Mehlbeere (Sorbus aria) trifft man in warmen Eichen- und Buchenmischwäldern an. Es gibt eine Fülle von Varianten, oft nur kleinräumig regional verbreitet, dazu auch Hybriden wie die Schwedische Mehlbeere (Sorbus intermedia) – alle ebenso nutzbar, auch die strauchige Zwerg- oder Berg-Mehlbeere (Sorbus chamaemespilus) in den Gebirgen. Nicht nur, dass die Blätter mehlig behaart sind und die roten Apfelfrüchtchen trocken-feinfaseriges Fruchtfleisch haben, weshalb man sie Mehlfässchen, Mehlbirnen oder Mehlkirschen nennt. Die getrockneten und gemahlenen Mehlbeeren ergeben einen fruchtig-süßlichen Zusatz für allerlei Gebäck. Der Mehlanteil bei Brot oder Kuchen lässt sich bis zu einem Viertel durch Mehlbeermehl ersetzen. Früher diente dieses als Streckmehl, um in Notzeiten die Getreidevorräte zu ergänzen. Warum nicht heutzutage eine Tugend daraus machen?

Weißdorn – Herrgottsbeeren und Liebfrauenbirnchen

Nur ein paar Monate Rückschau: „Wenn der Weißdorn blüht im Hag, so wird es Frühling auf einen Schlag.“ Herrlich, wie Weißdornsträucher im Hochzeitskleid aus Hecken und vom Waldrand hervorstechen. Aus dem Blütenweiß ist jetzt ein Früchterot geworden. Anders als die oft mit ihnen vergesellschafteten Schlehen (Prunus spinosa), die ebenso Rosengewächse sind, jedoch zur Steinobstfraktion gehören, tragen Weißdorne fast jedes Jahr reichen Fruchtbehang – ihre Blüten fallen Spätfrösten kaum zum Opfer. Und deshalb können wir im Herbst reichlich zugreifen und kleine Apfelfrüchte von den dornigen Gehölzen ernten.

Apfelfrüchte? Ich beiße doch nur auf einen Stein? Na, es ist ja auch ein Eingriffeliger Weißdorn (Crataegus monogyna), der nur ein Fruchtblatt hat. Die Früchtchen erinnern damit an Steinfrüchte wie Schlehen (Samen sind von holziger Schale umgeben, eingehüllt in fleischiges Fruchtfleisch). Bei nahem Hinsehen erkennt man äußerlich jedoch die Ähnlichkeiten mit Äpfeln, etwa am Kelchgrübchen, das dem Stiel gegenüber liegt. Der Zweigriffelige Weißdorn (Crataegus laevigata) dagegen hat mindestens zwei „Steinchen“ im Fruchtbauch. Merke: bei Weißdornarten werden die Fruchtblätter holzig und hart, sind von Achsengewebe umwachsen und bilden damit einen Steinapfel.

„Niemand sieht es dem Weißdorn an, was er alles leisten kann.“, sagt eine alte Weisheit. Hinter den heilkundlichen Qualitäten bleiben die kulinarischen Verwertungsmöglichkeiten weit zurück. Doch das mehlige und nicht gerade aufregend schmackhafte Fruchtfleisch vom Weißdorn lässt ihn in den gleichen Topf mit Mehlbeeren werfen. Fein für Chutney, Pesto oder Kombination mit Apfelmus – herzgesunde Köstlichkeiten. Aber lasst ein paar Früchte übrig, die Vögel werden es danken.

Vogelbeeren – Spatzenkirschen und Amselsang

Weil wir gerade an Vogelfutter denken: Da kommen die nächsten Apfelfrüchtchen recht, die schon vom Namen her viel sagen. Beliebt bei Vögeln und anderen Gourmetschnäbeln, verführend für Augen mit beerenartigen Früchten wie korallenrote oder goldorange wie Perlen. Vogelbeere oder Eberesche (Sorbus aucuparia), verschwistert mit den Mehlbeeren, aber mit eigenwilligen inneren Werten, warten auf uns. Echt? Die sind doch giftig, mag mancher einwerfen, und hat damit nicht ganz Unrecht. Im rohen Zustand unverträglich trifft es besser, denn nach Frosteinwirkung oder Verarbeitung wie Kochen wandelt sich die schleimhautreizende, Übelkeit, Erbrechen und Magenweh hervorrufende Parasorbinsäure in Sorbinsäure. Die wiederum wirkt süßend und konservierend.

„Armetei, Bettelei, Vugelbeer auf’s Brot“, heißt es im Erzgebirge, wo die Vogelbeeren auch als „Speise des gemeinen Mannes“ gerühmt wird. Wer eine gewisse Bitterkeit, die sich nie ganz verliert, akzeptiert, der gewinnt einzigartigen Fruchtaufstrich, z.B. außergewöhnliche Beilage zu Wildbret, daraus. Mit Zucker verpaart gebärden sich Vogelbeeren – so ein unbekannter Vogelbeerverehrer – wie ein Mannsbild: „Allein rau und kräftig, neben einer Frau lieb und weich.“ Vollends zur Höchstform laufen Vogelbeeren auf, wenn der in ihnen enthaltene Zucker mit viel Sachverstand und Feingefühl vergoren wird. Frisch-wildfruchtig mit Marzipannote, zart-herb und saftig – Weiberleutschnaps, so heißt es, für Männer viel zu schade. Alkoholfrei geht‘s auch: Vogelbeersirup mit Apfelsaft, erinnert stark an Campari oder Aperol.

Speierling und Elsbeere

Bei diesen beiden Wildobstarten werden die Apfelfrüchte wieder größer, aber auch rarer. Deshalb gilt ein Brand aus Speierling (Sorbus domestica) und Elsbeeren (Sorbus torminalis) als besonders edel und ist auch besonders teuer. Noch nie davon gehört, schon gar nicht gesehen, höre ich oft, wenn ich von diesen Bäumen ins Schwärmen gerate. Dabei gehört in anständigen Frankfurter Ebbelwoi eine Gabe Speierling dazu, um den Fruchtwein mittels Gerbstoffen klarer, haltbarer und auch geschmackvoller zu machen. Heutzutage sind es nur geringe Beimischungen, früher wurde dagegen ein Viertel bis über ein Drittel Speierling zu den Äpfeln gegeben, weil man das herbe Aroma mehr schätzte.

Wie der Speierling gehört auch die Elsbeere zu den „heimischen Exoten“, zu den zehn seltensten Baumarten unserer Wälder. Fast schon am Rande des Aussterben bemüht man sich in letzter Zeit wieder um sie, denn sie gelten als Zukunftsbaumarten, die dem Klimawandel zu trotzen scheinen und hervorragendes Nutzholz liefern. Da bleibt als Aufgabe, was man sonst noch mit ihnen anfangen kann. Neben der Brennerei können selbstverständlich die Apfelfrüchte als Wildobst dienen. Voll-, noch besser überreif macht man aus den birnenförmigen Früchten Mus, Marmelade oder Likör, gerne mit Äpfeln, Birnen oder Quitten gemischt. Das Speierlingsbrot entsteht nach derselben Technik wie Quittenbrot. Also: „Fällt der Apfel reif ins Maul, dann beiß zu und sei nicht faul.“

Reicher Apfelgenuss!

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